Nachricht vom

Dem Gedenken eines fast vergessenen Popularphilosophen der Sattelzeit widmete sich eine Tagung am am 28./29. März an der Stiftung LEUCOREA in Lutherstadt Wittenberg. Lesen Sie hier einen Rückblick.

Die Erinnerung an die großen Namen der Denker der Sattelzeit – die runden Geburtstage etwa Hegels und Kants liegen in der jüngeren Vergangenheit – lässt leicht übersehen, dass es neben den ‚Klassikern‘ viele weitere spannende Denkerinnen und Denker dieser Epoche gibt. Dazu gehört zweifellos der Philosoph Wilhelm Traugott Krug (1770–1842), der u.a. der Nachfolger Kants in Königsberg war. Dem Gedenken seiner Person und einem Einblick in sein Werk war die Tagung Pluralismus, Emanzipation, Freiheit – Krug als Denker der Moderne gewidmet, die am 28./29. März an der Leucorea in Wittenberg stattfand. 

Der erste Nachmittag und Abend war als feierlicher Gedenkakt gestaltet und stellte Krugs Wirken in und um Wittenberg in den Vordergrund. Die Eröffnung erfolgte durch die Ausrichter der Tagung – Prof. Dr. Rochus Leonhardt und Dr. Karl Tetzlaff. Dr. Caecilia-Désirée Hein – die Leiterin der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek in Wittenberg – bewarb zum Auftakt der Tagung eine Ausstellung zu Krug mit dem Titel Meine Lebensreise. Sechs Stationen, sechs Positionen, die vom 31. März bis zum 11. Juni 2025 zu besichtigen ist; zudem waren am Tag selbst Originalbestände aus dem Werk Krugs zur Ansicht vor Ort. 

Der erste Höhepunkt beider Tage war der sich anschließende Festvortrag von Jan Rohls (München), der mit seinem gelehrten Beitrag ein weites historisches, geistesgeschichtliches und biographisches Panorama aufspannte. Rohls nutzte Krugs Autobiographie Krugs Lebensreise in sechs Stationen als Orientierung und präsentierte die verschiedenen Lebensstationen Krugs, die er vom Geburtsort Radis über Wittenberg, Frankfurt und Königsberg bis nach Leipzig nachverfolgte. Rohls präsentierte Krug als Theologischen Rationalisten, der für die Perfektibilität, die sittliche Vervollkommnung des Menschen eintrat. Neben vereinzelten Appetithäppchen aus Krugs Schriften wurde von Rohls auch die historische Situation der napoleonischen und nachnapoleonischen Zeit angeschnitten. Krug selbst wurde dabei insgesamt als humorvoller Zeitgenosse erkennbar, der gegenüber Hegel vor Spott nicht zurückschreckte und auf den gesunden Menschenverstand pochen konnte.

Im Anschluss daran versammelte sich das Festpublikum im Hof der Leucorea. Zu Ehren des Philosophen der Spätaufklärung wurde – dank der finanziellen Unterstützung des Rotary-Clubs Wittenberg und der Stadtwerke – eine Gedenktafel am Gebäude der Leucorea eingeweiht. Mit Musik untermalt und durch Grußworte des Bürgermeisters Wittenbergs (Seidig), des Heimatvereins Radis – die im Zuge dieses Gedenkens Krug als einen ihrer Lokalhelden erst so richtig entdeckt hatten – und der Superintendentin (Dr. Metzner) begleitet, fiel das Banner der Leucorea und gab den Blick auf die neue Gedenktafel frei. Ein Empfang im Eingangsbereich schloss sich an und rundete den Festakt ab.

Der zweite Tag der Tagung fand in kleinerer Runde statt und war stärker auf Fachpublikum und Interessierte ausgerichtet. Jeder der sechs Vorträge warf dabei ein Schlaglicht auf das Denken Krugs und beleuchtete somit ein spezifisches Thema seines Werks. Insgesamt konnte dadurch ein guter Einblick in die Breite des Denkens von Krug gewonnen werden. 

Krug lebte in einer Zeit, in der sich der öffentliche Austausch von Meinungen, der Raum des Öffentlichen erst herausbildete (und vonseiten der Machthaber immer wieder mit Zensur bekämpft wurde). Der Philosoph selbst nahm regen Anteil sowohl an öffentlich-publizistischen Debatten als auch an der theoretischen Reflexion der Meinungsfreiheit. Die Vorträge der Philosophin Dr. Cheryce von Xylander (Lüneburg) und des Theologen Dr. Karl Tetzlaff (Wittenberg) ergänzten sich so hervorragend: Während von Xylander stärker auf Krug als aktiven public intellectual (Vortragstitel: Traugott Krugs vornehme Denkart. Perfektibilität, Makrobiotik, Restauration in Betracht auf Kant) und seiner Rolle als Popularphilosoph in öffentlichen Diskussionen etwa mit von Haller und Hufeland einging, widmete sich Tetzlaff Krugs Reflexion und Konzeption der Meinungsfreiheit und präsentierte ihn sowohl Vordenker einer liberalisierten Öffentlichkeit als auch als Kritiker der Zensurbestimmungen (Vortragstitel: ‚Die Freiheit der Meinung muß überall respektiert werden.‘ Wilhelm Traugott Krug als Vorkämpfer einer liberalen Öffentlichkeit). Die einzelnen Punkte seines Vortrags, die Krugs Konzeption von Öffentlichkeit, Denkfreiheit und Pressefreiheit anschnitten, mündeten in der Frage nach gegenwartsrelevanten Anschlussmöglichkeiten in der Frage nach einem Strukturwandel der Öffentlichkeit (Habermas). 

Die Virulenz für uns gegenwärtiger Themen riss von Beginn an nicht ab. So entfaltete der Theologe Prof. Dr. Rochus Leonhardt (Leipzig) in seinem Vortrag Der ‚Krieg über Prinzipien‘ als ‚das Non plus ultra alles Unsinns‘. Krieg und Frieden bei Wilhelm Traugott Krug zwei verschiedene Kontexte von Krugs Nachdenken über die Frage nach dem gerechten Krieg: seine Ausführungen im Bereich der Rechtsphilosophie einerseits und seine Äußerungen zum politischen Zeitgeschehen (etwa zur Heiligen Allianz) andererseits. 

Dr. des. Valentina Dafne De Vita (Wittenberg) fokussierte Krugs Eheethik – ein Thema, das keineswegs als randständig betrachtet werden darf, sondern das im Horizont der Frage nach Freiheit und Gleichheit ein paradigmatisches Thema bietet, an dem sich Theorien konkretisieren lassen. De Vita tauchte in ihrem Beitrag Liebe und Rechte im Wandel der Zeit: Krugs ‚Philosophie der Ehe. Ein Beytrag zur Philosophie des Lebens für beide Geschlechter‘ im Kontext seiner Epoche mit humorvoller Distanz in die Genderperspektiven jener Zeit ein, grenzte Krugs Eheverständnisse von Kant ab und hob die Ambivalenzen bei Krug hervor, der sich zum einen für die Partizipation von Frauen im sächsischen Landtag einsetzte, andernorts aber an deren Kompetenz dazu zweifelte. 

Das politische Engagement Krugs, das hier anklingt, wurde auch im fünften und sechsten Vortrag des zweiten Tages herausgestellt. Prof. Dr. Jonas Flöter (Leipzig) zeichnete Krug, seine Bildungseinflüsse und seine Vorschläge zur Reform der Universität in die 1830 erfolgten Bildungs- und Universitätsreformen ein (Vortragstitel: Universitätsreform im Verfassungsstaat – Wilhelm Traugott Krug und die Neuordnung der Universität Leipzig). Krug selbst war zu dieser Zeit Rektor der Leipziger Universität und aktiv an den Umstellungen beteiligt. Der Vortrag von Dr. Marianne Schröter (Brandenburg) ‚Über die bürgerliche Gleichstellung aller Religionsparteian.‘ Wilhelm Traugott Krug und die Frage der Judenemanzipation ging sowohl Krugs argumentativer Auseinandersetzung mit antijudaistischen und antisemitischen Vorurteilen als auch seinem aktiven politischen Einsatz im sächsischen Landtag für die Emanzipation der Juden nach. 

Dieser letzte Einblick in das Denken von Wilhelm Traugott Krug beschloss den zweiten Tag der Tagung. Die Tagung zeigte insgesamt, dass ein Blick in die vermeintlich ‚zweite Reihe‘ abseits der ‚Klassiker‘ lohnt und dass an den Debatten der Sattelzeit für gegenwartsrelevante Fragen nach wie vor zu lernen ist.