Lieber Eran, Wo bist du aufgewachsen?
Ich bin im Norden Israels aufgewachsen, in einem kleinen Dorf etwa 10 Kilometer von der Grenze zum Libanon und zwei Kilometer vom Meer entfernt. Der Norden Israels ist sehr multikulturell. Ich bin zusammen mit Juden, aber auch mit arabischen Muslimen, arabischen Christen, Bahai und Drusen aufgewachsen.
Wie war deine Kindheit in Israel?
Ich wurde in den frühen 80er Jahren geboren, das war eine sehr unruhige Zeit an der Grenze zum Norden. Die meiste Zeit meiner Kindheit habe ich in Schutzbunkern verbracht. Dort habe ich laufen gelernt und meine ersten Worte gesprochen. Das war ein wesentlicher Teil meiner Kindheit, aber ich hatte eine sehr glückliche Kindheit, weil unsere Mütter sich sehr bemühten, den Schutzbunker zu einem Ort zu machen, an dem wir Spaß haben konnten. Wir haben zum Beispiel unsere Geburtstage im Schutzbunker gefeiert. Als die kleinen Bomben aus dem Libanon kamen, war der Schutzbunker ein Ort, an dem wir immer die Nachbarn im Schlafanzug trafen. Wir haben den Schutzbunker sehr gemocht, und das haben wir unseren Müttern zu verdanken, die es geschafft, daraus etwas Lustiges zu machen. Heute ist das nicht mehr möglich. Unser gesamtes Weltbild ergab sich aus dem, was unsere Eltern uns zeigten. Wir hatten keine sozialen Medien.
Ursprünglich hast du Film studiert. Wie kamst du zum Hebräisch unterrichten?
Nach der Armee habe ich Filmwissenschaften studiert, dann beschloss ich, einen weiteren Bachelor in Pädagogik und Philosophie zu machen. Während meines Studiums unterrichtete ich fünf Jahre lang Filmwissenschaften an einer Schule. Ich zog nach Jerusalem und studierte vergleichende Religionswissenschaft. Als ich in Indien war, lernte ich den Buddhismus von der religiösen Seite kennen, aber dann beschloss ich, Buddhismus zu studieren. Das hat mir sehr gefallen. Weil meine Partnerin aus Deutschland ist, belegte ich einen Kurs, um Hebräisch als zweite Sprache zu unterrichteten. Nach dem Studium zog ich nach Deutschland.
Dein akademischer Hintergrund ist sehr divers. Wie beeinflussen diese verschiedenen Disziplinen deinen Hebräisch-Unterricht?
Sehr stark. Das meiste über das Unterrichten habe ich von Lehrern gelernt, denen ich im Laufe meiner Jahre begegnet bin, entweder auf einem Mediationskissen in einem buddhistischen Retreat sitzend oder beim Studieren. Ich habe eine Menge durch das Unterrichten gelernt. Ich wurde von den Lehrern, dem Material und natürlich von den Schülern beeinflusst. Manchmal sprechen wir in den Kursen über verschiedene Perspektiven und unterschiedliche kulturelle Verhaltensweisen, zum Beispiel über den Unterschied zwischen der israelischen und der deutschen Denkweise und über die kleinen Unterschiede in der interkulturellen Kommunikation, die in Beziehungen die Welt bedeuten können.
Hebräisch ist eine faszinierende Sprache. Was liebst du am meisten an ihr?
Es fällt mir schwer eine Sache herauszuheben. Das moderne Hebräisch ist meine Muttersprache und da ich in Israel aufgewachsen bin, habe ich natürlich ab der zweiten Klasse auch biblisches Hebräisch gelernt. Vor langer Zeit hatte ich einen Schüler, der Hebräisch als eine Art Zaubersprache bezeichnete: Man nimmt ein paar Buchstaben, setzt sie in ein Muster, und schon entsteht etwas. Das gefällt mir.
Kannst du den Unterschied zwischen modernem und biblischem Hebräisch erklären?
Zunächst einmal ist das biblische Hebräisch eine tote Sprache. Wir sprechen sie seit ca. 2000 Jahren nicht mehr. Und das moderne Hebräisch, obwohl es auf dem biblischen Hebräisch basiert, wurde als Alltagssprache erst vor 140, 150 Jahren erneuert. Wenn es um den Unterricht geht, bin ich dafür, dass diese beiden Sprachen, als zwei verschiedene Sprachen mit vielen Verbindungen zwischen ihnen unterrichtet werden sollten. Wenn man die eine kennt, kennt man nicht automatisch auch die andere. Viele Israelis verstehen kein biblisches Hebräisch. Das eine ist eine gute Grundlage für das andere. Sobald man eine Sprache beherrscht und versteht, wie sie aufgebaut ist, ist es einfacher den Sprung zu schaffen.
Gibt es neben Arabisch noch andere Sprachen, die eng mit Hebräisch verwandt sind?
Es ist von Vorteil, wenn man eine semitische Sprache beherrscht, sie gehören schließlich zur selben Familie, es haben aber nur wenige überlebt. Arabisch ist bei weitem die größte davon. Die hebräische Sprache wurde als Alltagssprache wiederbelebt. Als geschriebene Sprache war sie jedoch auch zuvor in Gebrauch, jüdische Philosophen wie zum Beispiel Maimonides schrieben häufig Briefe auf Hebräisch. Die Motivation für die Wiederbelebung der hebräischen Sprache als Alltagssprache war sehr politisch. Als der Zionismus aufkam und die Rückkehr nach Israel als Heimatland begann, haben Elieser Ben Jehuda und andere viele neue Worte für das moderne Hebräisch erfunden. Sie waren aus Polen, dem Irak, aus Libyen und Russland. Außer der jüdischen Kultur hatten sie nur sehr wenig gemeinsam. Daher wollten sie eine Sprache schaffen, die alle sprechen konnten. Dabei gab es viele Auseinandersetzungen. Die orthodoxen Juden waren dagegen, weil Hebräisch eine heilige Sprache ist. Es gab viel Gewalt. Menschen, die auf der Straße Hebräisch sprachen, wurden angegriffen, vor allem Kinder. Der Vorteil war, dass viele der Menschen, die in die Kibbuzim und nach Tel Aviv gezogen sind, säkulare und junge Leute waren, die die Motivation verstanden, eine Sprache zu schaffen, die alle sprechen können. Sie halfen Elieser Ben Jehuda dabei, Zeitungen zu veröffentlichen, in denen er immer wieder neue Wörter einführte. Er wollte seinen Sohn in einer rein hebräischen Umgebung großziehen. Als sein Sohn heranwuchs, erfanden er und seine Frau neue Wörter. Wenn sein Sohn zum Beispiel auf die Seife zeigte und fragte, was das sei, musste er das Wort für Seife erfinden, denn im biblischen Hebräisch gibt es kein Wort für Seife, und in diesem Fall nahm er das Wort aus Frankreich, er machte Savon zu Sabon (סַבּוֹן).
Lernen die Studierenden in deinem Kurs, Hebräisch zu lesen und zu schreiben?
Ja. Viele Lehrer, die ich kenne, lehren heute nur die Druckschrift in Hebräisch. Es ist einfacher die Hebräisch-Druckschrift zu lernen. Ich bin aber ein großer Befürworter des Erlernens der Handschrift. Ich unterrichte das handschriftliche System parallel zu der Druckschrift. Das kann am Anfang ein kleiner Schock sein, denn offiziell haben wir 22 Buchstaben im Hebräischen, aber in Wirklichkeit sind es viel mehr. Man hat die 22 als Basis, aber einige Buchstaben haben eine Doppelform wie Bet/Vet, Pe/Fe. Einige Buchstaben, die am Ende eines Wortes stehen, werden anders geschrieben. Dann gibt es noch drei Buchstaben, die wir erfunden haben, um Wörter wie „Chips“ oder „Jeans“ auszusprechen, weil diese Laute nicht natürlich für die hebräische Sprache sind. Wenn man diese Zahl verdoppelt, haben wir etwa 66 neue Zeichen, die wir lernen müssen. Es braucht Zeit, bis wir anfangen zu sprechen. Ich wünschte, ich hätte viel mehr Zeit mit den Schülern. Ich wünschte, ich hätte sie jeden Tag. In der Hebräischen Universität in Jerusalem wurde ich für das Ulpan-System ausgebildet.
Werden die Studierenden darauf vorbereitet, sich in Israel unterhalten zu können?
Nach einem Semester können sich die Studierenden auf jeden Fall auf einer grundlegenden Ebene vorstellen und ihren Namen, ihre Telefonnummer, was sie mögen, was sie nicht mögen und was sie studieren, sagen. Das wird von Semester zu Semester besser. Am Ende des zweiten Semesters werden die Studierenden schon fortgeschrittene Grundkenntnisse der Konversation haben. Hebräisch ist eine Sprache, die man auf der Straße lernen kann. Ich versuche, meinen Studierenden viele Hilfsmittelmit auf den Weg zu geben, damit sie die Sprache analysieren können, wenn sie sie auf der Straße hören. Dabei lege ich großen Wert auf den Wortstamm im Allgemeinen und auf die Struktur und die Flexibilität der Grammatik, so dass jemand, der nach Israel reist, vielleicht nicht sprechen kann, aber viel analysieren und verstehen kann. Sie werden den allgemeinen Aufbau der Sprache verstehen. Hebräisch ist eine Sprache, die sich sehr schnell weiterentwickelt. Sie verändert sich unglaublich schnell. Wir sprechen in diesem Kurs über einige der Veränderungen, denn einige Wörter, die vor zehn Jahren noch in Gebrauch waren, sind ausgestorben.
Gibt es etwas, das Du Studierenden, die Hebräisch lernen wollen, mit auf den Weg geben möchtest?
Ich habe Spaß am Unterrichten. Ich weiß, dass wir in den Kursen oft an der Erhaltung der Studierenden-Zahlen arbeiten sollen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich Studierende anwerben musste, denn wie ich schon sagte, kommen die Leute, die Hebräisch lernen, bereits mit einer ganz bestimmten eigenen Motivation. Ich würde zu den Studierenden sagen: „Kommt vorbei, probiert es aus! Hebräisch macht Spaß und ihr werdet viele Aspekte aus der israelischen Kultur entdecken.“
Das Interview ist gekürzt und wurde aus dem Englischen übersetzt.
Interviewerin: Paulina Felsch studiert B.A. Judentum in Tradition und Gegenwart sowie Ev. Theologie und ist studentische Hilfskraft bei Prof. Yemima Hadad.