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„Was macht Joseph eigentlich da?“, fragte ein Theologiestudent während einer Studienexkursion zur Schlosskirche in Leipzig-Lützschena im Oktober 2022. Wir standen vor dem Marienaltar aus dem 15. Jahrhundert und betrachteten auf der Werktagsseite des Flügelaltars einen Bilderzyklus aus dem Leben Mariens. Auf den ersten Blick ist die Weihnachtsszene eine wie jede andere: Maria und Joseph mit dem Jesuskind in einem strohgedeckten Stall, im Hintergrund Ochse und Esel an der Krippe. Doch fällt ein interessantes Detail ins Auge: Während Maria andächtig die Hände faltet und auf das nackte, von Strahlen umgebene Jesuskind schaut, hält Joseph einen Topf und einen Löffel in der Hand (Abb. 1). „Vielleicht kocht er Brei für das Neugeborene. Doch das kann doch noch keinen Brei essen?!“, meinte jemand.

Das ungewöhnlich anmutende Altarbild gibt Anlass, sich die Darstellung Josephs im mittelalterlichen Weihnachtsbild einmal näher anzuschauen. Die überraschende Erkenntnis lautet: Joseph ist bei vielfältigen Aktivitäten zu sehen – als Hausmann. In der uns vertrauten Weihnachtsgeschichte im Lukas- und Matthäusevangelium liest und hört man freilich nichts davon, dass Joseph den Kochlöffel schwang. Für die mittelalterliche Legendenbildung und Ikonographie erwiesen sich die Apokryphen als fruchtbar, v. a. das Protoevangelium des Jakobus aus dem zweiten Jahrhundert: Als Maria auf dem Weg nach Bethlehem die Wehen überkommen, bringt Joseph sie in eine Höhle und geht los, um eine Hebamme zu suchen. Während er fort ist, kommt das Kind zur Welt, Maria wickelt es in Windeln und legt es in eine Ochsenkrippe. Joseph kehrt mit zwei Hebammen zurück. Die eine glaubt nicht an die Jungfrauengeburt und als sie Maria untersucht, verdorrt ihre Hand. Doch als sie das Jesuskind anfasst, wird sie geheilt. So taucht die Hebamme auch auf Weihnachtsdarstellungen auf, etwa auf einem Tafelbild um 1350 vom Hohenfurther Altar (Abb. 2). Joseph wird aktiv, indem er bei den Vorbereitungen zum Bad des Kindes hilft. Auf anderen Bildern entfacht er das Feuer für das Bad oder schafft Wasser herbei, ja zieht sogar Wasser aus einem Brunnen. Auch das Pseudo-(Matthäus-)Evangelium (zwischen 550 und 700) arbeitete die apokryphe Erzählung weiter aus und ging über eine weitere Bearbeitungsstufe in die Legenda aurea (13. Jhd.) ein, jene „goldene Legende“ mit ihren Heiligenviten, die große Breitenwirkung entfaltete und die Ikonographie stark beeinflusste. In den ältesten Kalendarien und Martyrologien, die dem Heiligengedenken dienten, taucht Joseph im Verzeichnis der Heiligen noch nicht auf. Im 9. Jahrhundert erscheint er als Bethlehem sancti Joseph nutritoris Domini, also als Nährvater des Herrn in Bethlehem. Dieses immer wieder genannte nutritor-Attribut scheint die Grundlage für die Aktivitäten Josephs auf den spätgotischen Weihnachtsbildern zu sein. Die Verehrung Josephs war regional jedoch sehr unterschiedlich, mal wurde er gar nicht verehrt, mal wurde ihm als Heiligen gedacht, mal feierte man ein großes Josephsfest. Meist bleibt Joseph ohne Heiligenschein, der erst am Ende des Mittelalters öfter um Joseph erstrahlt. Im 14./15. Jahrhundert wurde das nutritor-Attribut beliebter und trug wohl auch zu den Bildern bei, die Joseph als Koch darstellen, wie etwa auf dem Wurzacher Altar von Hans Multscher (1437): Joseph hat gekocht, doch nun kommen die Könige, um ihre Gaben darzubringen (Abb. 3). Er schaut etwas griesgrämig drein, denn er kann Maria seinen Brei nicht anbieten – und natürlich hat es niemand gerne, wenn das Essen kalt wird. In anderen Darstellungen bringt Joseph mit einem Blasebalg die Glut im Feuertopf zum Glimmen, wie auf einem Tafelbild der St.-Michaelis-Kirche Lüneburg. Am Boden liegen Haushaltsutensilien, ein Kehrbesen und ein Rost, daneben eine Dreifußpfanne mit Stiel, auf der Bank stehen ein Leuchter und Keramikgefäße. Auch dies ist ein Bild, auf dem Joseph der Heiligenschein fehlt. Das Motiv des Breikochens kam auch im geistlichen Spiel vor. In Arnold Grébans Passion de nostre saulveur Jhesu Christ von 1450 spricht Joseph: „Ich hab auch Milch dabei / die hab ich mitgebracht, sogleich mach ich sie heiß, / dem Kindelein zur Speis.“ Die „Breiszene“ gab es öfter. Ein späteres Rosenheimer Weihnachtsspiel fußt offenbar auf einer älteren Spielfassung des 16. Jahrhunderts: Joseph will dem Kind ein „Müasela“ (Mus, Brei) kochen und die Windeln wärmen, erweist sich jedoch als ungeschickt – er ist hier also alles andere als ein erhabener Heiliger: „O mei Maria! iaz is ma d‘ Milli z‘runna; / War ma bal‘s Müasel mitsamt‘n Pfanndel vobrunna!“ („Herrje, Maria, jetzt ist mir die Milch zerronnen, fast wären mir der Brei und die Pfanne verbrannt!“) Und was kocht Joseph eigentlich? Späht man in seinen Kochtopf, ist ein Brei zu sehen, manchmal auch etwas Festeres. Auf einem Fresko in der Pfarrkirche in Tainach kommt Joseph mit einem Eierkörbchen und einer Gans gelaufen, auf einem Schnitzrelief der Wallfahrtskirche St. Koloman bringt er Eier in einem Körbchen und zeigt sie beglückt Maria, auf anderen Darstellungen liegen drei oder vier Eier schon zur Zubereitung bereit. Offensichtlich sollte sich die Wöchnerin Maria mit einer Eierspeise stärken.

Eine weitere Aktivität hat durch Legenden in der religiösen Epik, im Lied und geistlichen Spiel Ausgestaltung gefunden und die Ikonographie beeinflusst. Es wird berichtet, dass Joseph seine Beinlinge auszieht, um daraus Windeln zu machen. So kommt es, dass er am Multscheraltar in Sterzing seine Beinlinge abstreift. Die Strümpfe können auch neben Maria und dem Kind im Badezuber bereitliegen, wie am Altar des Schlosses Tirol von 1370/72 (Abb. 4) – Joseph hat sich abgewandt und schläft. In Aachen gehören die „Windeln Jesu“ zu den vier Aachener Heiligtümern, auch „Strümpfe des Joseph“ genannt. Die Aachener Heiligtumsfahrt, eine Pilgerfahrt, die alle sieben Jahre stattfindet und bei der diese vier Reliquien gezeigt werden, ist seit 1349 nachweisbar. Auf einem Pilgerblatt des Domkapitels Aachen aus dem 15. Jahrhundert sind die beiden Windeln jedenfalls eindeutig als Beinlinge identifizierbar. Diese liegen Joseph auf manchen Darstellungen wie ein Attribut über der Schulter. Josephs Beschäftigung mit den Windeln Jesu kommt auch in einem Gemälde von Hieronymus Bosch von 1510 vor: Während die Könige das Christuskind anbeten, trocknet Joseph im Hintergrund am Feuer ein weißes Tuch, das wohl eine Windel sein soll.
Joseph ist auf Bildern der Geburt Christi noch bei weiteren Aktivitäten zu sehen: Er sitzt nicht etwa unbeteiligt bei Maria, sondern wendet sich ihr auf seinen Stock gestützt zu, schaut zu den Engeln, unterhält sich mit den Hirten oder schlägt sogar dem Ochsen mit dem Krückstock aufs Maul, der offenbar beim Fressen auch ein Stück Windel erwischt hat und unerhörterweise das Jesuskind im Maul festhält, wie auf einem Glasfenster des Freiburger Münsters (ca. 1320). Joseph wird zum Beschützer des Kindes.
All diese Tätigkeiten Josephs fanden sich im spätmittelalterlichen Weihnachtsbild, bis es sich vom „Wöchnerinnenbild“ zum „Andachtsbild“ wandelte: Joseph steht nun andächtig an der Seite der anbetenden Maria und hält in Anlehnung an eine Legende, nach der er in der Höhle eine brennende Kerze an der Wand befestigte, eine Kerze oder Laterne in der Hand – Hausmann ist er nicht mehr. Auch erscheint er nun öfter als Heiliger mit Nimbus, der das Kind verehrt und gleichzeitig selbst verehrt wird.

In der Lützschenaer Weihnachtsszene trägt Joseph den Heiligenschein und betätigt sich als Hausmann. Er kocht und kümmert sich um Mutter und Neugeborenes, er nimmt damit das Kind an, das er nicht gezeugt hat, in einer Zeit, in der solche häuslichen Tätigkeiten Weibersache waren. Es ist Josephs Form der Ehrerbietung und Anbetung Jesu, sein Akt der Nächstenliebe: Er wird zum Nähr- und Ziehvater des Heilands. Mit seinem Nimbus steht er als Heiliger in all seinem Tun den Gläubigen als Vorbild vor Augen.

Im Rahmen des „Lützschenaer Krippenwegs“ kann der Marienaltar der Schlosskirche bis zum Dreikönigstag besichtigt werden. https://sophien-leipzig.de/aktuelles/luetzschenaer-krippenweg/

 

Dr. Christiane Domtera-Schleichardt, Institut für Kirchengeschichte Leipzig

 

Literatur:

  • Graf, Gerhard: Die Ev.-Luth. Schloßkirche in Leipzig-Lützschena (Flyer), Leipzig 4. Aufl. 2017.
  • Graf, Gerhard: Die Kirchen und Kapellen der Ev.-Luth. Sophienkirchgemeinde Leipzig, Leipzig 2021, 24–38.
  • Pötzl, Walter: Die Aktivitäten des (heiligen) Joseph im gotischen Weihnachtsbild. Kalendarien, Legenden, mündliche Überlieferungen, Lieder sowie Spiele und ihre Rezeption im Bild, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2014, hrsg. von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Institut für Volkskunde, München 2014, 71–119.

 

Bildnachweise:

Abb. 1: Foto/Retusche: Steffen Berlich

Abb. 2: Master of Vyšší Brod, Mistr Vyšebrodský, Public domain, via Wikimedia Commons, URL: commons.wikimedia.org/wiki/File:Meister_von_Hohenfurth_002.jpg

Abb. 3: Hans Multscher, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: commons.wikimedia.org/wiki/File:Hans_Multscher_-_Au%C3%9Fenfl%C3%BCgel_des_Wurzacher_Altars_-_Google_Art_Project.jpg

Abb. 4: Burkhard Mücke, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons, URL: commons.wikimedia.org/wiki/File:Christi_Geburt,_Altar_von_Schloss_Tirol.jpg

Abb. 5: Foto: Christiane Domtera-Schleichardt